HOLZBURGER BLÄTTER
Die Holzburger Blätter sind eine Publikationsplattform, in der in loser Folge Dinge und Objekte aus dem Bereich Kunst und Kultur vorgestellt werden sollen.
Schwerpunkt ist dabei die Verbundenheit mit dem Objekten des Schwälmer Dorfmuseums Holzburg und der Sammlung Merk Holzburg. Herausgeber der Holzburger Blätter ist Dr. Anton Merk.
Anton Merk
DER TÜRSTURZ AUS MERZHAUSEN
1800
Unbekannter Zimmermann
Holz, beschriftet in hebräischen Ziffern
Schwälmer Dorfmuseum Holzburg
Inventarnummer : 1.1.3.4
Inschrift:
Ahron bar Eliezer Jahr 560 – seitlich die Datierung 12.04.1800
Gesegnet bist du, wenn du eingehst und gesegnet bist du, wenn du ausgehst 1800
Viel Glück
(Übersetzung Prof. Dr. Diethelm Conrad, Marburg).
Laut Brief von Prof. Dr. Heinrich Leipold an die damalige Museumsleiterin Hildegard Falk, 1990, stammt der Segenspruch aus dem fünften Buch Moses, 28, 6.
Der Türsturz stammt aus dem Haus Judengasse 4 (Haus 60) in Merzhausen, wohl direkt aus der Erbauungszeit. Der erste jüdische Besitzer des Hauses und auch sein Erbauer war Aaron Spier (in Merzhausen seit 1797). Bar Eliezer ist der religiöse Name und Spier (Speyer) der weltliche Name des Erbauers. (Abb.1 und 2)
1844 ist sein Sohn Jonas Spier als Besitzer bezeugt. Letzter jüdischer Besitzer war Salomon (Schlaume) Spier. Schlaume Spier wurde nach Theresienstadt deportiert und dort 1945 von der Roten Armee befreit. Er kehrt nach Merzhausen zurück und verstarb am 29. 11. 1947 (Krankenhaus Hephata Treysa). Er wurde am 2. 12. 1947 auf dem jüdischen Friedhof in Merzhausen begraben.
Das Haus wurde von Konrad Hoos erworbe . Seine Witwe Anna Katharina Wilhelmine Hoos (geb. Düfler) war dann die Besitzerin. Nach ihrem Tod war das Haus im Besitz ihres Sohnes Heinrich Hans Hoos. Schließlich gehörte es den Kindern von heinrich Hans Hoos, die es vor kurzem verkauft haben (freundliche Mitteilung von Anneliese Hoos Ph.D in einem Brief vom 9. Dezember 2018). (Abb. 3 und 4)
Der Türsturz wurde vermutlich von Anna Katharina Hoos, die bis zu ihrem Tod 1981 in dem Haus gewohnt hat, an das Dorfmuseum Holzburg übereignet, vermutlich in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts. Der Türsturz wurde ausgebaut, als das Haus eine neue Aussentreppe und Haustür erhielt. Durch den Umbau wurde der Eingang auf die Höhe der ersten Etage verlegt. Vermutlich hatte das Haus vor dem Umbau auch Stufen im Innern. (Brief vom Anneliese Hoos Ph.D.)
Der Eingang eines jüdischen Hauses wies immer den Segensspruch (meist im Türsturz) und die Mesusa auf, ein in der Türe eingelassener Pergamentstreifen, auf dem das Glaubensbekenntnis Israels – das Schema Israel – geschrieben war. In den „Bildern aus dem altjüdischen Familienleben“ schilderte der Frankfurter Maler Moritz Daniel Oppenheim eine solche Szene in seinem Bild „Der Dorfgehen“. (Abb. 5) Ein Landjude steht in der Tür seines Hauses. Der Türsturz zeigt den gleichen Segensspruch wie der Türsturz aus Merzhausen. Er begrüßt die Mesusa. Der Mann trägt einen mit Stoffproben gefüllten Rucksack und einige Tücher in der Hand und sein Sohn zwei Beutel und eine Schneiderelle. In der linken Hand hält er einen Wasserbeutel. Die Hände der Ehefrau und Mutter erbitten den Segen für Vater und Sohn. Vor der Haustür steht der Großvater an einer Bank. Ein christlicher Handwerksbursche, der sich auf der Walz befindet, bekommt von dem Sohn ein Geldstück.
Oppenheim schildert seine Szene vor einen Steinhaus, die Menschen tragen die Kleidung des ausgehenden 18. Jahrhundert – ähnlich wie die Bauern der Schwalm. Außer dass das Haus 60 in Merzhausen wie alle anderen auch ein Fachwerkhaus war, hätte sich die Szene um 1800 ähnlich auch in Merzhausen abspielen können.
Die Juden in Merzhausen und in der Schwalm waren Händler, die ihre Kunden in den Dörfern aufsuchten und so von Dorf zu Dorf gingen. Sie handelten entweder mit Stoffen, Bändern, Zubehör, Tabak und Spezereien oder mit Vieh. Nur in Ziegenhain und Treysa gab es auch jüdische Ladengeschäfte.
Moritz Daniel Oppenheim (1800 Hanau – 1882 Frankfurt), der erste bürgerliche Maler jüdischen Glaubens, veröffentlich ab 1860 eine Bilderserie mit Fotografien nach seinen Gemälden mit dem Titel „Bilder aus dem altjüdischen Familienleben“, in der eine Zeit um 1800 bis 1810 aus seiner Erinnerung schildert, also aus einer Zeit, die sonst ohne jede Bilder auf uns gekommen wäre. Die Familienbilder sind somit eine einzigartige Quelle.
Im askenasischen Judentum (Deutschland, Polen, Litauen, Russland) heiß die Synagoge Schul. Durch die Pogrome des Mittelalters wurden die großen städtischen Gemeinden wie Speyer, Worms, Mainz und Köln vernichtet. Die Überlebenden zogen nach Polen, Litauen und Weißrussland, deren Herrscher ihnen Schutz gewährten. Sie nahmen ihre Alltagsprache mit, die sich zum Jiddischen weiterentwickelte.
Die Judenschule bestand aus einem Gebetsraum und einem Lehrraum für die Cheder, die Kinderschule. Bestandteil eines jeden Gebetsraumes ist der Thoraschrein für die Thorarollen. Die Thora sind die fünf Bücher Moses, die mit der Hand auf Pergament geschrieben werden. Sie werden auf zwei Rollen aufgerollt. Neben dem Thoraschrein ist für den Gebetsraum auch die Bima notwendig. Auf der Bima wird die Thora verlesen. Da man die Thora nicht mit dem Finger berühren darf, gab es den Zeiger, einen Finger aus Silber, mit dem der Vorleser die Zeilen entlang las. In Merzhausen ist das Schulhaus erhalten, während die eigentliche Synagoge nach dem Krieg abgebrochen wurde. (Abb. 6 und 7)
Zu einer jüdischen Gemeinde sind 10 jüdische Männer (Minjan) Voraussetzung. Ein gelehrter Rabbiner war nicht notwendig, eher der Lehrer, der die Kleinen in Hebräisch unterrichtet. Die jüdischen Gemeinden in der Schwalm, die ja sowohl für den Unterhalt für den Rabbiner als auch für den Lehrer aufkommen mussten, begnügten sich notgedrungen mit dem Lehrer. Nur in Ziegenhain gab es einen Rabbiner.
Jede jüdische Gemeinde hatte aber einen eigenen Friedhof. Von den Gemeinden in Treysa, Ziegenhain, Neukirchen, Frielendorf, Oberaula, Ottrau, Großropperhaiusen und Merzhausen existieren die Friedhöfe bis heute. Die jüdischen Friedhöfe befinden sich immer außerhalb der Orte. Die älteren Grabsteine sind immer in Sandstein gehauen mit einem Symbol und dem Namen des Toten in Hebräisch. Ab 1900 mehren sich die Steine mit zweisprachiger Beschriftung oder nur in Deutsch. (Abb. 8)
Artikel aus 2017 von Anton Merk, ergänzt 2019
Literatur: Gottfried Ruetz: Von den Juden in Merzhausen, in: Schwälmer Jahrbuch 1979, S. 112 ff.- Ruth Dröse, Frank Eisermann, Monica Kingreen, Anton Merk: Der Zyklus „Bilder aus dem altjüdischen Familienleben“ und sein Maler Moritz Daniel Oppenheim, Hanau 1996.
Abbildungsnachweis:
Abb. 1: Türsturz im Schwälmer Dorfmuseum Holzburg, Foto Anton Merk
Abb. 2: Türsturz in originalen Standort, Repro Ruetz
Abb. 3: Haus Nr. 60, Repro Ruetz
Abb. 4: Haus Nr. 60, Foto Anton Merk
Abb. 5: Der Dorfgeher, Repro Familienbilder
Abb. 6: Judisches Schulhaus in Merzhausen, Repro Ruetz
Abb. 7: Jüdisches Schulhaus in Merzhausen, Foto Anton Merk
Abb. 8: Jüdischer Friedhof in Merzhausen, Foto Anton Merk